Gute alte Zeit

Wer von der guten alten Zeit spricht, hat diese Zeit nicht selbst erlebt. Die Armut im Erzgebirge war groß, der Kinderreichtum ebenfalls. Viele Kinder starben bereits bei der Geburt. Den Eintrag "Bei der Nottaufe durch die Hebamme gestorben" findet man in allen Kirchenbüchern. Eine Besonderheit findet man in den Weiperter-Kirchenbüchern, dort heißt es mehrfach "Bei der Nottaufe durch die Hebamme erstickt". Ob die Hebamme bei der Taufe zu viel Wasser verwendet hat? Sind die Kinder ertrunken? Die Taufe des Kindes erfolgte bereits am ersten oder zweiten Lebenstag. Erst ab Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Neugeborenen am Sonntag nach der Geburt getauft. Der Winter im Erzgebirge war schneereich und kalt. In der heutigen Zeit ist es kaum vorstellbar, dass ein Neugeborenes durch hohen Schnee in eine ungeheizte Kirche getragen wurde, um dann bei der Taufe 3-mal mit kalten Wasser übergossen zu werden. Eine solche Prozedur überlebten nur "die Besten".

Im Jahr 1850 verstarben in Weipert 119 Personen, darunter 57 Kinder (48%) unter einen Jahr. Die Sterblichkeitsrate stieg in den Folgejahren auf über 70%! In den ersten Lebenswochen wurde "Lebensschwäche" als Todesursache angegeben. Bis zum Alter von etwa 4 Monaten erscheint oft "Fraisen" (Krampfzustände) als Todesursache. Diese Krankheit entstand durch die dauernden Schwangerschaften der Mütter. Für den Knochenaufbau des Kindes wird Kalk benötigt, der dem Körper der Mutter entzogen wird. Ein alter Spruch sagt: "Jedes Kind kostet der Mutter einen Zahn". Für die ersten Kinder reichte die Reserve der Mutter, die nachfolgenden Kinder hatten Kalk- und Vitamin D-Mangel. Die Kinder wurden nicht älter als etwa 4 Monate, überlebten sie, waren sie oft behindert (verkrüppelt sagte man früher). Eine Alterserscheinung der Mütter war der "Witwenbuckel". Ein mindestens zweijähriger Geburtenabstand wäre günstig für das Überleben der Kinder und die Gesunheit der Mütter gewesen, doch für die katholische Kirche war und ist Empfängnisverhütung eine Sünde. Wenn sich innerhalb eines Jahres kein weiteres Kind ankündigte, besuchte mancher Pfarrer die Familie um ein weiters Kind anzumahnen, er bekam ja seine Stolagebühren fürTaufe und Beerdigung!

Bei der Taufe war Eile geboten, den ein ungetauftes Kind kommt nach katholischer Lehre nicht in den Himmel, sondern ist ewiger Verdammnis und Höllenqualen ausgesetzt *. Die Pfarrer der damaligen Zeit waren wahre Meister in der Schilderung von Höllenqualen. Bei der Eheschließung ließen sich die Eltern (zwangsweise) mehr Zeit. Oft wurde erst nach dem zweiten oder dritten Kind geheiratet. Ein eigener Hausstand war teuer, die jungen Eltern lebten weiterhin bei ihren Eltern. Zur Eheschließung benötigte man die Eheerlaubnis der Obrigkeit, die war schwer zu erhalten. Sozialversicherungen gab es noch nicht. Hatte ein Bedürftiger zur damaligen Zeit kein Bürgerrecht, so war die Geburtsgemeinde bei fehlenden Angehörigen für die Unterstützung zuständig. So wehrte sich wohl jede Gemeinde gegen künftige Sozialfälle.

Voraussetzungen für die Heiratserlaubnis waren:
Das Heiratsalter, das Bürgerrecht (erhielt man oft erst nach 10 - 20 Jahren), ein Arbeitsplatz, abgeschlossene Wanderzeit (bis zu 7 Jahre) bei Handwerkern. Ein "gewisser" Wohlstand war natürlich von Vorteil.

In Bayern wurden Pfarrer dazu verpflichtet, Alimente für die von ihm Getrauten zu zahlen, wenn er ein Paar ohne Genehmigung der Obrigkeit vermählte, Ein weiteres Hindernis waren die Kirchengebühren für eine Eheschließung. In den Kirchenbüchern findet man Einträge über Armenbegräbnisse, Einträge von Taufen oder Hochzeiten für Arme habe ich keine gefunden."
Die Menschen im Erzgebirge waren arm, diese Armut steigerte sich mit der Industrialisierung und nochmals mit dem ersten Weltkrieg. In Wien wurden die "Kriegserfolge" mit rauschenden Festen gefeiert, im Erzgebirge herrschte bittere Not. Um die Not zu lindern kam ein Güterzug mit Lebensmitteln und Fleisch in Weipert an, der Zug war wahrscheinlich wochenlang unterwegs, es wimmelte von Würmern und Maden, der Inhalt selbst für ausgehungerte Menschen ungeniesbar. Zum Essen wurden weiterhin Futterrüben in Wasser gekocht. Im und nach dem ersten Weltkrieg starben keine Kinder an Fraisen, es wurden wenige geboren. Die möglichen Väter sind im Krieg gefallen. Die übrig gebliebenen Männer und Frauen waren durch die Hungersnot geschwächt und so kaum zeugungs-empfängnisfähig. Neben Marasmus und TBC erscheinen "Oedema" auch Kriegswassersucht genannt, "Ruhr und ruhrartige Durchfälle und Selbstmord" als Todesursache. Die Mehrzahl der Menschen starb an diesen Krankheiten.
Kinder waren früher die "Altersversorung", die Eltern starben in der Familie. Durch den frühen Tod der Söhne und Ehemänner zerfiel die Familienstruktur. So mancher ehemalie besser angesehene Bürger wurde zum Armenhausinsassen in der Karl-Schmid-Gasse 712 oder zum Siechenhausinsassen in der Brüder-Pohl-Straße 875.
Josef Eibert war Soldat, Dienstgrad "Gemeiner", ein Mannschaftsdienstgrad. Bei den ersten beiden unehelichen Kindern schrieb der Pfarrer "Gemeiner bei den ..." ins Kirchenbuch. Beim dritten unehelichen Kind schrieb er nur "ein gemeiner Soldat". Nach der Militärzeit hat Josef doch geheiratet und beim 4. und 5. Kind war alles in Ordnung. Soldaten benötigten die Erlaubnis des Vorgesetzten zur Eheschließung, die gab es für Mannschaftsdienstgrade nicht. Was wohl der Pfarrer mit "ein gemeiner Soldat" gemeint hat?

Im Kirchenbuch von Weipert (L170 1 40) steht der folgende Eintrag!
Donnerstag den 5 Xbris hat Christoph Rieß en Bergkmann mit seinem Ehelichen Weibe Rosina Ottin im Siebenden Monat nach der Hochzeit oder nach Verfließung von 203 Tagen eine Tochter tauffen laßen nahmens Maria Rosina welches von Hr. Doctor Johann Dürren Medico zu oberwießenthal, unter aiden pro Partie Legitimo erkennet worden.
Da hat der Pfarrer aber genau nachgerechnet, hatte das Brautpaar diese Sünde vor der Eheschließung nicht gebeichtet?
In Böhmen wurden die Kinder von einer "geprüften Hebamme" entbunden. Was wurde geprüft, die Fähigkeiten der Geburtshilfe oder die korrekte Nottaufe? Kam es zum Skandal weil ein protestantischer Doctor aus Oberwiesenthal das Kind einer katholischen Frau entbunden hatte?

Die gute alte Zeit war bestialisch grausam! In den Wirren der Reformation wurde Weipert protestantisch. Die Protestanten vernichteten alles was katholisch war. Weipert wurde wieder katholisch, die Katholiken vernichteten alles was protestantisch war. In den Bergstädten Weipert, Preßnitz und Kupferberg hielten sich die Anhänger des protestantischen Glaubens am längsten. 4 Hauseigentümer wollten nicht katholisch werden und entwichen vom Grund (siehe Berni Rula), sie flüchteten in das protestantische Sachsen, Niederschlag, heute ein Ortsteil von Bärenstein entstand. Wer nicht rechtzeitig die Flucht ergriff, wurde "katholisch gemacht", ihm wurden Nase und Ohren abgeschnitten. In den Predigten der katholischen Pfarrer sollte der Himmelstrost ihr schweres Erdenleid vergessen machen. So erteilte Pfarrer Feiler aus Weipert seinen Kirchenkindern den "den wohlfeilen Trost, daß sie sich jetzt in ihrer Armuth glücklicher schätzen müßten als vordem bei ihrem reichen Ein- und Auskommen. Sie hätten ja den katholischen Glauben gewonnen und der müsse sie für alles entschädigen".

Uneheliche Mütter, ihre Kinder und Nachkommen wurden in den Kirchenbüchern gebrandmarkt. In einigen Kirchenbüchern erfolgte der Taufeintrag in den letzten Seiten eines Kirchenbuches, manchmal auch zur besseren Kennzeichnung quer geschrieben. Einige Mütter auch als Huren bezeichnet. Die Kirche hat viele Fehler begangen, an denen sie heute noch leidet.

Mit "kaiserlichem Patent zur Ausrottung der Zigeuner" wurde 1706 anbefohlen, Tafeln an den Ortseingängen errichten zu lassen auf denen die Leibes- und Lebensstrafen für "Zigeuner" sichtbar gemacht wurden. Die aufgegriffenen Männer wurden gehenkt. Unmündigen Knaben und erwachsenen Frauen wurde in Böhmen das rechte Ohr, in Mähren das linke Ohr abgeschnitten. In Österreich wurde stattdessen ein Galgen auf dem Rücken gebrannt. Diese Anordnung wurde 1725 durch Dekret erneuert!

Aus der Geschichte der Stadt Weipert entnommen:
Am 10. Juni 1811 hat sich der 36 Jahre alte Büchsenmacher Josef Wagner , der Bruder des damaligen Bürgermeisters Ig. Wagner, im Hintergebäude des Hauses Nr. 79 erschossen. Da der Selbstmörder am hies. Gottesacker begraben ward, wurde dessen Leichnam von unbekannten Thätern zur Nachtzeit aus dem Grabe genommen und im Sage wieder zum Hause Nr. 76 gebracht und dort an die Haustüre gelehnt, wo er morgens von den Angehörigen aufgefunden wurde.

Am 16. Mai 1842 hat sich Ignaz Lenhard Nr. 328 (Wassermachernaz genannt) im Wald beim Brückl "guter Brunn" durch Erhängen das Leben genommen. Der Leichnam wurde vom Abdecker in Stücke geteilt und diese an Ort und Stelle der That eingescharrt.


* Erst Papst Benedikt XVI hat im Jahre 2007! die jahrhunderte alte Lehre der katholischen Kirche revidiert. Er billigte einen Bericht, wonach sich Babys in einem "Zustand der Gnade" befänden und daher nicht in die Hölle kämen.

Die gute alte Zeit hat ihren Grund in dem schlechten Gedächtnis des Menschen.

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